„... und möchte den Himmel mit Händen fassen“– Lesung mit Musik in Kitzingen

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"Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen." Mit diesem Auftrag bestimmte Bundespräsident Herzog 1996 den 27. Januar zum zentralen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. Der Förderverein alte Synagoge Kitzingen, der Träger- und Förderverein ehemalige Synagoge Obernbreit und der Arbeitskreis Gehwissen Iphofen richten seit 2013 gemeinsam den zentralen Gedenktag für den Landkreis Kitzingen aus. Auch am letzten Sonntag folgte wieder eine ansehnliche Anzahl von Gästen der Einladung zu einer Lesung mit Musik in die alte Synagoge Kitzingen.

Ich möchte leben.
Ich möchte lachen und Lasten heben
und möchte kämpfen und lieben und hassen
und möchte den Himmel mit Händen fassen
und möchte frei sein und atmen und schrein.
Ich will nicht sterben. Nein!

Die junge Jüdin Selma Merbaums starb mi18 Jahren im deutschen Zwangsarbeitslager Michailowska. In einfacher, eindringlicher Weise erzählen ihre Gedichte von Gefühlen, Träumen und Schönheit der Natur, sie sind voll Sehnsucht. Hoffnung und Lebenswillen. Die von Jutta Schwegler akzentuiert vorgetragenen Gedichtzeilen Ich „möchte kämpfen und lieben und hassen [...] Ich will nicht sterben. Nein!“ ließen niemand im Publikum unberührt. Selma Merbaums starb erst 18 Jahre alt im deutschen Arbeitslager. 57 Gedichte von ihr sind auf abenteuerliche Weise gerettet worden.

Hilde Domins Gedichte zeichnen eine andere Seite jüdischen Schicksals. Flucht, Vertreibung und Exil bestimmten einen Abschnitt ihres Lebens. Diese Erlebnisse machten sie zu einer Unbehausten, die sich „ein Zimmer in der Luft“einrichtet, weil auf der Erde kein Ort für sie ist und ihr „nur eine Rose als Stütze“ bleibt.

Den lokalen Bezug und den Beitrag von Autorinnen und Autoren des 21. Jahrhunderts stellte die öffentliche Uraufführung des Hörspiels “Deportation“ eines P-Seminars des AKG Kitzingen her. Den jungen Leuten gelang es, den fiktiven Weg einer Kitzinger jüdischen Familie vom brutalen Abbruch des Sabbatabends durch die NS-Schergen bis zur Einlieferung in das KZ mit Hilfe von Dokumenten nachzuzeichnen. Stärkeren Eindruck als die exakte Einspielung von Geräuschen hinterließen die auftretenden Personen: die Zuschauer des Abtransports, die nur ein paar interessierte Bemerkungen machen, das Brüllen der Wachmannschaften und ihrer Beschimpfungen („Judenschweine“) und die Angst der Deportierten und deren Sorge um die Kinder.

Den Musikpart am Flügel hatte die junge, vielfach preisgekrönte Künstlerin Luisa Bolow mit sorgfältig ausgewählten Stücken von Bach bis Satie übernommen; Diethart Bischof gab die nötigen biographischen Hinweise zu den Autorinnen Selma Merbaum und Hilde Domin.

Dem einen Teil des Auftrags von Roman Herzog ist die Veranstaltung voll gerecht geworden. Die Mahnung geht 2019 dringlicher an das Publikum des Abends und an alle Deutschen. Wenn jüdische Bürgerinnen und Bürger sich bei uns nicht mehr sicher fühlen, ist es nicht mehr mit Reden und Veranstaltungen zum „Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus“ getan. Dann ist mehr gefordert.