Keine Erinnerungsroutine

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Der Bundespräsident und Politiker aller Richtungen äußern sich jedes Jahr zum Holocaust-Gedenk­tag. Braucht es da auch noch eine Veranstaltung in Kitzingen?

 Der Förderverein ehemalige Synagoge Kitzingen, der AK Ge(h)wissen, Iphofen und der Träger- und Förderverein ehemalige Synagoge Obernbreit e.V. sind der Ansicht: Ja, gerade deswegen braucht es sie: Weil bei den prominenten Rednern fernab in den politischen Zentren leicht eine Art beziehungslose Erinnerungskultur entstehen könnte.

Die drei Vereine hatten deshalb Dr. Nicole Grom, Mitarbeiterin beim Nürnberger Institut für NS Forschung, in die Alte Synagoge Kitzingen eingeladen, die unter dem Generalthema: „Der Holocaust ist nicht das Ende“ nach einer kurzen historischen Einführung mit Hilfe von Videobiographien Betroffenen Gesicht und Stimme gab.

Da war die „höhere Tochter“ aus der Nürnberger Fabrikantenfamilie und Cousine von Rudolf Bena­rio, dessen Familie aus Obernbreit stammt, und der eines der ersten Mordopfer in Dachau wurde. Sie konnte kurz vor Kriegsbeginn nach Israel fliehen.

Da war der „Halbjude“, dessen präzise Erinnerungen niemand in der Alten Synagoge unberührt las­sen konnten: Vor der Deportation in Nürnberg: Wenn es klingelte, dann sah man sich in der Familie an ` wen holen sie jetzt?´ Und in Auschwitz: „Ich hab die Öfen gesehen. . . die Kästen mit Goldzäh­nen lagen am Boden . . Ich hab die Öfen gesehen. Ich hab sie als Häftling gesehen.“

Alle sechs in den Videos vorgestellten Personen – rechtzeitig Geflohene und Überlebende aus Konzentrationslagern – schilderten aus kindlich/jugendlicher Perspektive exemplarisch das Leben junger Jüdinnen und Ju­den in Deutschland in den 30ern und 40ern: Wie sie plötzlich von den früheren Freunden geschnit­ten und gemobbt wurden, die Schule verlassen mussten, nicht mehr im Verein spielen durften und ihre Katze weggeben mussten, weil Juden keine Haustiere mehr halten durften.

Die Kontrastierung dieser Aussagen mit Berichten über ihre Flucht oder den KZ-Aufenthalt und ih­ren neuen Lebenssituationen und die intensive Präsenz der Personen in den Videos, ließen die Ver­nichtungsstrategie der Machthaber an dem Abend in der Alten Synagoge plastisch werden.

Auch wenn alle vorgestellten „Zeugen der Unzeit“ trotz ihrer Traumata ein Leben nach dem Holo­caust führen konnten, hinterließ der Gedenktag kein Gefühl von happy ending.

Die Betroffenheit und emotionale Anspannung des Auditoriums artikulierte Pfarrer Hanjo von Wie­tersheim, Iphofen, in einem abschließenden Gebet.

Gerade wenn unter denen, die fälschlicherweise behaupten, das Volk zu sein, immer wieder Prediger von Hass und Fremdenfeindlichkeit mitmarschieren, ist es wichtig, auch in Kitzingen daran zu er­innern, dass auch in unserem Landkreis Menschen Opfer einer hypertrophierten Fremdenfeindlich­keit geworden sind.